Hans Kremer - Theater aktuell

Hans Kremer
ist seit August 2019 freischaffend tätig ...

 

 

Engagement am Schauspielhaus Zürich
2015-2019


Der satanarcheolügenialkohöllische
Wunschpunsch
von Michael Ende
Premiere: 10.11.2018
Regie: Christina Rast
Photos: Raphael Hadad


Wahlverwandtschaften
nach J.W. v. Goethe
Premiere: 29.09.2018
Regie: Felicitas Brucker
Photo: Toni Suter / T+T Fotografie


Mass für Mass
von William Shakespeare
Premiere: 12.04.2018
Regie: Jan Bosse
Photo: Toni Suter / T+T Fotografie


Antigone
von Feridun Zaimoglu & Günter Senkel
nach Sophokles
Premiere: 10.09.2016
Regie: Stefan Pucher
Photo: Tanja Dorendorf


NACHTSTÜCK
UA von Barbara Frey
Premiere: 04.03.2016
Regie: Barbara Frey
Photo: Matthias Horn


MEER
UA von Jon Fosse
Premiere: 17.10.2015
Regie: Barbara Frey
Photo: Matthias Horn

Am 13.10.2018 feierte Hans Kremer nach der Vorstellung "Maß für Maß" (Regie: Jan Bosse) sein 40. Bühnenjubiläum.
Zu diesem Anlass richtete er einige Worte an das Publikum.

 

40 Jahre Bühne des Lebens

Was zählt ist der Augenblick. Das ist etwas, was man am Theater lernt und was auch sonst ganz gut ist, um ein bewusstes Leben zu führen... „Es gibt keinen Weg. Nur gehen". Deshalb teile ich mit Ihnen heute keinen Rückblick, sondern einen ganz persönlichen Ausblick.

Theater ist ein mächtiger Ritual Raum und so liegt mir sehr am Herzen, hier Geschichten mit einem liebenden Blick zu erzählen, weil hier eine Verantwortung für die, durch dieses Ritual in den Raum gespeiste Energie, entsteht. Unsere Vorstellung von „Maß für Maß" ist ein gutes Beispiel für diesen liebenden Blick.

Dafür ist es wichtig, und nicht nur im Theater, menschliche Rahmenbedingungen zu schaffen, einen Schutzraum, in dem sich die wesentlichen Dinge des Lebens, gespiegelt in den zeitlosen Texten visionärer Dichter, entfalten dürfen.
Per-sonare: durch den Klangraum des Schauspielers im Austausch mit dem ersten Auge, dem ersten Ohr eines Regisseurs während der Erarbeitung, werden diese Ge-Schichten Abend für Abend mit anderen Menschen, mit Ihnen, dem Publikum geteilt, begangen, immer neu gelebt.

Das ist die Magie des Theaters: Es lebt.
Und in turbulenten Zeiten wie dieser ist es lohnenswert, solche Schutzräume zu pflegen, in denen man jenseits des Möglichkeits- und Schnelligkeitswahn über das Wesentliche gemeinsam nachdenken kann, in dem Fragen gestellt und nicht nur hergestellt werden, und schon gar nicht nach den Kriterien der turbo-kapitalistischen Gesellschaft, nach Profitmaximierung.

Es lohnt sich hier einzustehen für einen offenen Raum des „Anders Denkens" versus einen Raum der subkutanen Manipulation. Denn Kunst hat Einfluss, Macht!
Bilder, Musik, Texte schaffen einen Resonanzraum, der Angst erzeugen kann oder Mut macht. Als per-sonare, sozusagen Durch-Klingungs-Experte kann ich davon ein Lied singen.
40 Jahre Gedanken und Texte anderer durch meinen Körper und Geist zu lassen, das prägt. Und bei einigen Texten fiel es mir schwer, ihnen Raum zu geben, weil sie so giftig schienen, dass man daran leicht erkranken konnte. Doch es gibt eine Form des Durchklingen Lassens, die ich mir im Lauf der Jahre aneignen konnte, bzw. ausgehend vom japanischen und vom Brecht Theater entfalten durfte. Hierzu ein Zitat von einem meiner Meister, Yoshi Oida:

„Das Geschöpf, das sich auf der Bühne bewegt, sieht aus wie ein lebendiges Wesen, aber nur, weil es den Puppenspieler hinter der Puppe gibt. Unser Dasein ist zweigeteilt: das körperliche Leben, das man sehen kann, und ein zweites Dasein tief in uns allen, das unsichtbar ist. Wenn man nur auf das körperliche, sichtbare Dasein Wert legt, fängt man an zu glauben, dass das der Sinn des Lebens ist....
Auf der Bühne ist es das gleiche: Man spielt und gleichzeitig sieht man sich beim Spielen zu. So sind Beobachtung und Schauspielkunst ständig im Fluss. Irgendwann vergißt man das Beobachten und das Handeln. Es gibt keinen bewussten Gedanken mehr, und man kann frei sein. Mit einer solchen Freiheit könnte auch das reale Leben ein Wunder sein."

Das ist eine Arbeits- und Lebens-Form, die eine wirkliche Katharsis für mich und den Zuschauer ermöglicht, auch wenn ich einen Schurken zu repräsentieren habe.
Man zeigt ein Zitat des Unwesens und reproduziert nicht das Unwesen selbst auf der Bühne. Denn so würde man es erneut erzeugen. Alles, was auf einer Bühne geschieht, ist im Raum, wie in der Realität. Es ist eine analog erzeugte virtuelle Realität, die ebenso wie Gedanken, Worte und Taten das Kollektiv beeinflusst. „Achte auf Deine Gedanken, den sie werden Worte, achte auf Deine Worte, den sie werden Taten..." etc. Kein Wunder, dass es solche Sprichwörter gibt. Wenn wir hier am Theater, und auch sonst im Leben, dies beherzigen, dann können auf der Bühne des Lebens Wunder geschehen, und solche kleinen Wunder habe ich auch ein paar Mal in meinem 40 Jahren Bühne erleben dürfen.

Aus diesem Verantwortungsbewusstsein heraus, distanziere ich mich entschieden von Gewalt auf der Bühne, selbst wenn sie mit den besten Absichten der Kritik an den Mißständen unserer Gesellschaft erzeugt wird. Anstatt anzuklagen, reproduziert sie das, was sie anzuklagen sucht. Anstatt die Suche nach Lösungen zu thematisieren, vertieft sie die Spaltung, über die sie sich erheben wollte. Ich nenne das die Objektivitätsfalle. Sie lähmt die Sender und die Empfänger gleichermaßen. Und diese Lähmung sehen wir überall auf dieser Welt.

Es ist für mich persönlich viel spannender, Geschichten des Lebens so zu verkörpern und zu erzählen, dass sie den Akteuren und dem Publikum den Raum lassen, selbst über Lösungen der Probleme nachzudenken. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind", sagt Einstein. Frieden ist nicht nur Waffenstillstand. Von dieser Warte aus steht dem Theater und den anderen Künsten immer wieder der Weg ganz weit offen.

Dem Theater wird bei aller Technisierung und transhumanistischen Tendenz die Kraft nie schwinden, denn Theater berührt und verbindet, ist ein Versammlungsort. Und poetisches Theater ist politisches Theater, besonders in unserer Zeit. Es ist auch ein Ort für Spiritualität.

André Malraux soll gesagt haben: „Entweder werde das 21. Jahrhundert spirituell oder es werde gar nicht"... Hölderlin nannte das die Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schamrot machen werde. Denn im „Anders Denken" steckt das Potential zum individuellen und kollektiven Quantensprung. Man braucht nichts zerstören, man braucht nur eine andere Haltung, um alles zu verändern.

Hierin sind wir Schauspieler geübt, weil durchlässig und flexibel, und könnten, um die Gedanken des großen Diderot aufzugreifen, auch eine gewisse Vorbild Funktion erfüllen. Dies wiederum setzt ein gutes, gesundes und gelassenes Leben voraus.

Und hier liegt mein Traum für ein künftiges Theater der Nahbarkeit, wie es Hanno Rauterberg nennt, ein Theater, das sich nicht scheut, die großen elementaren Fragen mit alten und neuen Texten immer wieder neu zu stellen und sie im Lichte der Liebe - des für mich höchsten Prinzips der Lebendigkeit - zu betrachten. Theater ersetzt die Arbeit am selbst eines jeden Einzelnen nicht, aber es kann diese potenzieren, den Resonanzraum öffnen. Nada brahma. Die Welt ist Klang.

Mein Impuls gilt also Ihnen: Stehen Sie ein für Räume der Ruhe, in denen ohne Kommunikations-Prothese reflektiert wird, in denen jenseits der medialen Programmierung Wesentliches verhandelt wird. Es ist kein Luxus, es ist elementar.

Die Griechen haben Theater auch nicht als Unterhaltung aufgeführt, sie haben diese Rituale bewusst gelebt und existentielle, also auch spirituelle Fragen behandelt. Schiller schrieb nicht für die Zerstreuung, sondern setze Bürgern wie Königen in seinen Stücken den Spiegel vor, auch immer wieder einen Spiegel, wie es sein könnte!

Er wusste genau, wie schwer es ist, auf dem Hochseil des Schönen, Wahren, Guten zu balancieren. Von diesem Gleichgewicht sind wir kollektiv augenblicklich noch weit entfernt. Es ist es wert, davon zu erzählen. Und Schauspiel ist hier eine Technik, eine Kunst, und der bewusste schauspielende Mensch ein Instrument, wie man sich diesen Themen nähern kann. Am besten kann das, meiner Meinung nach, geschehen, wenn auf der Bühne des Lebens auch ein – ich würde sagen - kosmisches Gesetz respektiert wird, das da heißt:
Schade keinem Lebewesen weder in Gedanken, noch in Worten oder Taten.

Nasim Ikmet, ein türkischer Poet schreibt: „Leben wie ein Baum einzeln und frei und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht." Und ich füge hinzu: wer sehen sucht, der findet! Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Kommen Sie gute nach Hause. Danke !

 

Hans Kremer, Oktober 2018